Geschaaafft: Mein erster Marathon im Nordic Walking

4
Zieleinlauf: Matthias M. Meringer beim 11. Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon 2014
Zieleinlauf: Matthias M. Meringer beim 11. Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon 2014 (Foto: Helga Meringer)

Am 20. September 2014 absolvierte ich meinen ersten Marathon im Nordic Walking. Die Strecke war herausfordernd: 14,5 kraftraubende Kilometer bergauf, 6,5 anstrengende Kilometer bergab – und dann von vorne. Der 11. Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon verlangte mir in knapp über 6 Stunden alles ab. Den Tag werde ich nie vergessen. Dies ist mein Bericht aus Gefrees, der Hauptstadt Oberfrankens in Sachen Nordic Walking.

Marathon beginnt mit Vorbereitung

Das Projekt Marathon im Nordic Walking begann am 15. Januar 2014. Es war ein Mittwoch, ich lag im Krankenhaus. Fünf Tage vorher wurde meine Schilddrüse entfernt. Kein Krebs, erfuhr ich an dem Tag. Die Freude war grenzenlos.

Auch mein Tatendrang: Ich beschloss, mir zu beweisen, dass Nordic Walking auf langen Strecken auch ohne Schilddrüse funktioniert. Ab dem Tag stand meine Teilnahme beim Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon in Gefrees fest.

Drei Wochen nach der Operation begann ich wieder mit dem Nordic Walking. Ich trainierte erst zweimal, dann drei-, vier und ab Mitte März fünfmal pro Woche. Lange Läufe, kurze Läufe, langsame und schnelle Trainingseinheiten wechselten sich ab. Die fehlende Schilddrüse machte zum Glück keine Probleme.

Nordic Walking und die Anspannung vor dem Marathon

Die Monate gingen mit viel Nordic Walking ins Land. Der näher rückende Marathon in Gefrees bestimmte zunehmend den Alltag. Essen, trinken, trainieren, nachdenken, Trainingstagebuch führen: Im Kopf war ganz oft ganz viel Nordic Walking. Ich will gar nicht wissen, wie sehr ich mein Umfeld damit nervte.

Die Anspannung stieg von Woche zu Woche. Zum Schluss war ich aufgeregt wie vor einer wichtigen Prüfung. In der letzten Nacht wälzte ich mich hin und her. Erholsamer Schlaf sieht anders aus.

Und dann war es so weit.

Mein Tag beim Marathon im Nordic Walking in Gefrees

04:00 Uhr

Aufstehen. Ich werfe die Schilddrüsentablette ein und trinke ein Glas Wasser. Während ich nervös umhertappe, prüfe ich meine Nordic-Walking-Ausrüstung – mehrmals. Dass ich das gestern Abend bereits gefühlte 300 Mal tat, ist egal.

04:30 Uhr

Der Kaffee ist fertig. Gedankenverloren beobachte ich den aufsteigenden Dampf. Wahnsinn, heute ist es endlich soweit. Nordic Walking in Gefrees. Ich bin angespannt. Zum Kaffee gibt es zwei Laugenbrötchen. Eines mit Honig, das andere mit Marmelade. Mehr nicht. Die Kohlehydratspeicher füllte ich gestern Abend mit einer ordentlichen Portion Nudeln auf.

Jetzt fehlt nur noch eines: 2 Liter Wasser trinken. In der nächsten halben Stunde. Warum? Weil es ungefähr 3 Stunden dauert, bis die die Verdauung abgeschlossen ist. Der Körper scheidet das überflüssige Wasser bis kurz vor 08:00 Uhr wieder aus. Danach bleibt man in der Regel von Pinkelpausen beim Nordic Walking verschont.

05:15 Uhr

Morgentoilette. Zweifel kommen auf. Schaffe ich das? Habe ich gut genug trainiert? Irgendwie endlosschleifenartig.

05:50 Uhr

Hoffentlich klappt das mit dem Stuhlgang noch vor der Abfahrt.

06:25 Uhr

Stuhlgang! Erleichterung macht sich breit. Im wahrsten Sinn des Wortes.

06:30 Uhr

Abfahrt ins 40 Kilometer entfernte Gefrees im Fichtelgebirge. Im Auto herrscht konzentrierte Stille.

07:05 Uhr

Ankunft in Gefrees. Auf dem Parkplatz ist nichts los. Einige Helfer werkeln an Lautsprechern im Start- und Zielbereich. Die breite Masse der 689 Nordic Walker wird erst kurz vor 11:00 Uhr auf die Strecke gehen. Ich kann in Ruhe die Startunterlagen abholen.

Startbereich Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon 2014
Morgens kurz nach 07:00 Uhr: Der menschenleere Startbereich beim Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon 2014. (Foto: Matthias M. Meringer)

07:12 Uhr

Stopp. Ich checke erstmal ein und teile meinen Status bei Facebook und Twitter. Das muss sein.

Den Status bei Facebook anlässlich des Nordic-Walking-Marathons Gefrees 2014 teilen.
Den Status bei Facebook anlässlich des Nordic-Walking-Marathons Gefrees 2014 teilen. Quelle: Screenshot.

07:20 Uhr

Blick zum Himmel. Wird das schöne Laufwetter halten? Langärmeliges Unterhemd, leichte Jacke oder Regenjacke: alles dabei. Ich bin gut vorbereitet für 6 Stunden Nordic Walking.

07:30 Uhr

Die Startnummer kommt ans Funktionsshirt. Danach ziehe ich Kopftuch und Nordic-Walking-Handschuhe an. Sitzen die Nordic-Walking-Schuhe richtig?

07:35 Uhr

Nachdem ich die Handschlaufen angelegt habe, bin ich bereit für den Marathon im Nordic Walking.

07:50 Uhr

Der Sprecher ruft pünktlich zum Warmmachen. Alles ist getan. Der Augenblick der Wahrheit. Spannung. Ich sehe U20-Weltmeister Dominik Hübsch und andere bekannte Gesichter. Angespannte Stille. Eine riesen Anstrengung wartet. Tunnelblick.

Werde ich gut ins Nordic Walking rein kommen? Habe ich alles dabei? Nochmal schnell zum Hüftgurt greifen und die Trinkflaschen spüren. 57… 58… 59… Startschuss!

08:00 Uhr

Los geht’s. Endlich. Die Strecke schlängelt sich an den Rand von Gefrees. Nach einem Kilometer zieht sich das Feld auseinander. Ich bin in der Mitte. Gut so. Jetzt nur nicht mitreißen lassen. Den eigenen Stiefel laufen.

08:30 Uhr

Ich fühle mich frisch und ausgeruht. An der Strecke stehen Schilder mit Kilometerangaben. Damit kann ich mein Tempo kontrollieren. 7 km/h habe ich mir vorgenommen. Ich bin ungefähr eine Minute zu schnell. Das kann ich durch geschicktes Verzögern ausgleichen.

09:00 Uhr

Eine Stunde. Ich fühle mich im Marathon angekommen. Wie erwartet ist das Nordic Walking durch das Fichtelgebirge extrem anspruchsvoll. Ein Anstieg jagt den nächsten (siehe Höhenprofil weiter unten). Trotzdem halte ich mein 7er Tempo. Die Strecke ist anstrengender als jede, die ich kenne.

09:15 Uhr

Es bildet sich eine zwanglose Gruppe. Zwei Männer und ich. Noch liegen sie vor mir. Wenn mich nicht alles täuscht, schwächeln sie bereits unauffällig.

09:25 Uhr

Beide überholt. Nun bin ich allein auf weiter Flur im Fichtelgebirge. Schön.

09:33 Uhr

Das darf doch nicht wahr sein! Ich muss pinkeln! Das kostet mindestens eine Minute.

09:43 Uhr

Der Leki-Berg liegt vor mir. Der Anstieg ist 600 Meter lang und so steil, dass man beim ersten Anblick erschrickt. Kein Scherz. Der Leki-Berg ist die ultimative Herausforderung beim Nordic Walking in Gefrees. Beim Marathon muss man dieses Höllending zweimal hoch. In drei Stunden also nochmal. Ich verringere das Tempo, verkürze die Schrittlänge, behalte meinen Rhythmus bei und kämpfe mich den Berg hoch.

Höhenprofil des Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathons in Gefrees
Höhenprofil des Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathons in Gefrees. Den legendären Leki-Berg finden Sie bei Kilometer 12,2 mit der auffälligen roten Kennzeichnung. (Quelle: Veranstaltungsflyer SC Gefrees)

10:04 Uhr

Mir geht es gut. Das erste Drittel ist geschafft. Der Abstieg beginnt (siehe Höhenprofil). 6,5 km bergab zurück nach Gefrees. So lange den Berg hinunter zu laufen, ist kein Spaß. Das ganze Fahrgestell wird dabei strapaziert.

10:39 Uhr

Es geht quer über ein Feld. Dann an einem kleinen Weiher vorbei. Eine Frau steht am Ufer und recht gemähtes Gras. „Guten Morgen!“, ruft sie mir grinsend zu.

11:00 Uhr

Wie geplant laufe ich nach 3 Stunden und 21 Kilometern durch den Zielbereich in Gefrees. Einen kurzen Moment lang zweifele ich. Das alles nochmal? Schnell ein Stück Banane am Verpflegungsstand mitnehmen, im Laufen kauen, schlucken und weiter.

12:00 Uhr

Der Kopf ist leer. Das ernsthafte Denken hat aufgehört. Die Beine sind noch fit. Ich höre nur die Schritte, das Klappern der Nordic-Walking-Stöcke und meine Atmung. Vier Stunden sind vorüber. 2 Drittel der Strecke. Mit Blick auf die Kilometerangaben an der Strecke liege ich etwas hinter dem Plan zurück. Ich motiviere mich selbst und stelle mir vor, wie ich ins Ziel einlaufe. Los jetzt! Das willst du erleben. Auf geht’s!

12:35 Uhr

Da ist wieder der Streckenteil mit den hellen, runden Steinchen. Danach kommt der Leki-Berg. Zum zweiten Mal. Nun wird es gleich spannend. Das ist nichts für Weicheier.

Bis Stunde 3 ist alles gut. Stunde 4 kündigt die ersten Ermüdungen an. Allerdings ist das kein Beinbruch und völlig normal. Jetzt bin ich in der 5. Stunde. Ich spüre, dass die Kraft langsam nachlässt. Aber es hilft nichts. Dran bleiben und Tempo halten. Auch wenn es immer mehr Überwindung kostet.

Verpflegungsstelle. Tunnelblick beim Nordic Walking. Schnell durch und nicht ablenken lassen. Plötzlich höre ich „Hallo, Matze!“. Die Stimme kenne ich. Sie gehört Gerhard Quik aus Stammbach. Ich mag mich nicht umdrehen und laufe einfach weiter.

Startnummer 468 beim 11. Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon 2014 in Gefrees
Startnummer 468 beim 11. Fichtelgebirgs-Nordic-Walking-Marathon 2014 in Gefrees. (Foto: Matthias M. Meringer)

12:55 Uhr

Fuck you, Leki-Berg! Du machst mich nicht fertig. Und wenn ich hoch krieche! Die Atmung fällt schwer, die Schritte sind quälend langsam. Der Stockeinsatz war auch schon kraftvoller. Mehr geht jetzt nicht mehr. Irgendwann bin ich oben. Ich habe den Leki-Berg heute zweimal bezwungen. Jetzt noch die letzten Höhenmeter überwinden. Dann beginnt der finale Abstieg beim Nordic-Walking-Marathon in Gefrees.

13:30 Uhr

Das große Gelenk der zweiten Zehe am linken Fuß schmerzt seit 10 Minuten. Wird schon halten. Jetzt nochmal durch das Dorf da vorne und am kleinen Weiher vorbei. Am Horizont erkenne ich den Wald, hinter dem das Ziel liegt.

Ein Ruck geht durch den Körper. Die Muskeln spannen sich mit letzter Kraft. Meine Hände greifen die Nordic-Walking-Stöcke wieder besser. Scheiß‘ auf die Zehe. Ich werde das Ding nach Hause laufen. Tränen schießen mir in die Augen. Wenn jetzt nicht noch ein Ufo vor mir landet, werde ich den Marathon im Nordic Walking schaffen. Geil!

13:58 Uhr

Eine meiner Wasserflaschen rutscht aus dem Bauchgurt. Egal. Stehen bleiben und aufheben funktioniert jetzt nicht mehr. Ich will einfach nur noch in dieses verdammte Ziel.

14:02 Uhr

Kurz vor dem Gelände der Stadthalle in Gefrees. Noch ein paar Hundert Meter. Ich kann bereits die Fahnen und Menschen sehen. Wieder kommen Tränen. Ich bin überwältigt.

14:07 Uhr

Nach 06:07:46 h erreiche ich erschöpft das Ziel. Ich bleibe stehen und stütze mich auf die Nordic-Walking-Stöcke. Jemand scant die Startnummer auf meiner Brust. Da bricht es wie ein Urschrei aus mir heraus: „Jaaaaaaaaaaaaa!“

Nach dem Nordic-Walking-Marathon: Matthias M. Meringer im Gespräch mit Herbert Günsche (Weltmeister M65)
Nach dem Nordic-Walking-Marathon: Matthias M. Meringer im Gespräch mit Herbert Günsche (Weltmeister M65). Foto: Helga Meringer

Marathon im Nordic Walking – Fazit

Wenige Minuten nach dem Zieleinlauf konnte ich wieder lachen und mich freuen. Es fassen? Nein. Vermutlich muss ich das Erlebnis Nordic Walking und Marathon erst sacken lassen.

Hinter mir liegt ein Tag voll fantastischer Eindrücke. Von gnadenloser Anspannung und großem Respekt vor der Strecke bis zu Glücksgefühlen und Tränen im Ziel war alles dabei. Nordic Walking ist eine tolle Sportart, die wie die Faust aufs Auge zu mir passt. Bleibe ich gesund, war das sicher nicht mein letzter Marathon im Nordic Walking.

Und die nicht mehr vorhandene Schilddrüse? Nur zwei Dinge erinnern mich momentan an sie: Die morgentliche Tablette und mein noch immer zu hohes Gewicht. Ansonsten ist alles gut.

Übrigens: So weit ich weiß, bin ich der erste Hofer, der einen Marathon im Nordic Walking erfolgreich absolvierte. Darauf lässt sich doch aufbauen.

Weiterführende Links mit vielen Bildern:

4 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel